Überwachung erfordert Information!
Die Sorgfaltspflicht des „ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsrats“ erfordert eine „angemessene Information“ des Aufsichtsratsmitglieds, wenn es seine Pflichten nicht verletzen will.
„Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.
§ 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG – gilt gemäß § 116 AktG auch (sinngemäß) für das Aufsichtsratsmitglied.
§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG - eingefügt durch „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts“ („UMAG“) vom 22.09.2005 - kodifiziert die sogenannte Business Judgement Rule („BJR“), die vorher in Deutschland durch Rechtsprechung anerkannt wurde (vgl. BGH II ZR 175/95 vom 21.04.1997, „ARAG/Garmenbeck“).
Zusammenfassend können nach der „Business Judgement Rule“
- Risiken
- kalkuliert und
- deshalb unter bestimmten Voraussetzungen rechtmäßig
eingegangen werden.
Der „Angemessenheit der Information“ kommt der gesetzlichen Regelung zufolge nicht nur eine inhaltliche Funktion („Überwachung erfordert Information“) sondern auch eine formale Funktion zu. Sie ist Voraussetzung dafür, den Vorwurf einer Pflichtverletzung abwehren zu können.
Schwierig sind allerdings allgemeingültige Aussagen dazu, wann eine Information „angemessen“ ist. Dies kann nur im Einzelfall beantwortet werden und hängt zum Beispiel vom Umfang des einzelnen Geschäfts und seiner strategischen Bedeutung für das gesamte Unternehmen ab.
Der höchstrichterlichen Rechtsprechung lassen sich die beiden folgenden Beispiele dafür entnehmen, wann ein Organmitglied nach Ansicht des BGH auf der Grundlage „angemessener Informationen“ handelt:
BGH vom 14.07.2008 (II ZR 202/07, zum GmbH-Geschäftsführer):
Sachverhalt: Komplexe Umfinanzierung ohne detaillierte Planungsrechnung
„Der Geschäftsleiter muss ... alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung tragen.“
BGH vom 03.11.2008 (II ZR 236/07, zum Genossenschafts-Vorstand):
Sachverhalt: Kreditvergabe ohne Information über die Zahlungsfähigkeit des Kunden
„Für die Ausübung unternehmerischen Ermessens durch den Vorstand ist erst dann Raum, wenn er die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig ermittelt und das Für und Wider verschiedener Vorgehensweisen abgewogen hat.“
Bei (gerichtlicher) Überprüfung ist im Nachhinein die folgende Kontrollfrage zu stellen: „Durfte das Organmitglied vernünftigerweise annehmen, auf Grundlage angemessener Information zu handeln?“ Dabei besteht allerdings die Problematik, dass eine unvoreingenommene Beurteilung der Entscheidung im Nachhinein kaum mehr möglich ist. Schließlich ist das Ergebnis (Misserfolg der unternehmerischen Maßnahme) inzwischen bekannt.
Letztlich gilt das Gebot, dass das Aufsichtsratsmitglied seine Entscheidungsgrundlagen sorgfältig zu ermitteln hat. Als Kriterien für die Anforderungen an die aufsichtsrätliche Sorgfaltspflicht sind im Einzelfall zu nennen:
- Zeitlicher Vorlauf,
- Art und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung für das Unternehmen bzw. für den Konzern,
- Möglichkeiten des Informationszugangs (tatsächlich/rechtlich),
- Verhältnis von Informationsbeschaffungskosten zu Informationsnutzen.
Rein formale „Absicherungsstrategien“ (zum Beispiel das Einholen von: Sachverständigengutachten, Beratervoten, externe Marktanalysen, Fairness Opinions etc.) genügen in diesem Zusammenhang nicht. Allerdings kann auf den „Rat eines externen Dienstleisters“ vertraut werden, wenn der Aufsichtsrat diesen (zum Beispiel den Bericht eines Gutachters) einer eigenständigen Plausibilitätskontrolle unterzieht. Dabei sind z. B. zu beachten:
- die Sachkunde,
- der Informationsstand und
- die Vertrauenswürdigkeit des Externen (einschließlich der Frage nach einer möglichen Befangenheit des Externen).
Relevant ist die Frage, ob die dem Aufsichtsrat vorliegenden Informationen angemessen sind, vor allem bei der Beschlussfassung über „zustimmungsbedürftige Geschäfte“ i. S. v. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Dabei gilt der Grundsatz, dass der Aufsichtsrat sich - vor allem bei Entscheidungen von großer Tragweite - mit allen Informationen versorgen lassen muss, die für seine Entscheidung relevant sein können. Die Informationsvorlage des Vorstands bzw. der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat muss deshalb
- eine angemessene informatorische Grundlage für die Entscheidung des Aufsichtsrats darstellen,
- gleichzeitig aber berücksichtigen, dass Aufsichtsräte ihr Amt nicht hauptberuflich ausüben.
Der Vorstand bzw. die Geschäftsführung muss deshalb dem Aufsichtsrat die entscheidungsrelevanten Eckdaten des Geschäfts in aufbereiteter Form darstellen.